Surreale Reise ins eigene Ich

Theater-AG des Lichtenberg-Gymnasiums glänzte in Kafkas „Prozess“

Cuxhavener Nachrichten, 19.03.2019
Von Joachim Tonn

CUXHAVEN. „Egal was passiert, es wird ein kafkaeskes Erlebnis“, mutmaßte ein Zuschauer schon vor Vorstellungsbeginn. Wie auch anders: Auf dem Programm stand schließlich eine Bühnen-Adaption von Franz Kafkas Schlüsselwerk „Der Prozess“ – super inszeniert und mit Leidenschaft gespielt. „Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes“: Dieses Dalí-Zitat hatte die Theater-AG des Lichtenberg-Gymnasiums auf die Wand projiziert.

Das schuleigene „Forum“ erinnerte an ein griechisches Amphitheater. Insgesamt die perfekte Kulisse. Die theaterbegeisterten Schüler (die Jüngsten aus der 9. Klasse) hatten sich übrigens nicht ohne Grund für Kafkas „Prozess“ entschieden. Ein riesiger Steinbruch, aus dem man Elemente rausnehmen und kombinieren könne, meinte Rolf Gorny, Lehrer für Musik und Kunst, der gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern seine 28. Inszenierung auf die Bühne gebracht hat. So professionell, dass man nur staunen konnte. Umso mehr, da es sich ja um einen ausgesprochen anspruchsvollen Stoff handelte. Es ging um das Gefühl des Ausgeliefertseins, um die Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren. Verloren zu sein in einer Welt, die sich gegen einen verschworen hat. Und man weiß nicht, warum.

Aufwühlende Wirkung

„Man kommt in einen Albtraum hinein und nicht wieder raus“, brachte Rolf Gorny das Bühnengeschehen auf den Punkt. In dessen Mittelpunkt steht (im Roman wie in der Theaterfassung) „Herr K.“, der sich unversehens angeklagt sieht und versucht, sich das Ganze zu erklären. Die Inszenierungwirkte durch ihre suggestive Machart. Gedanken der Akteure wurden von einer Sprachbox oder durch einen Telefonanruf in den Raum gespielt. Das minimalistisch gehaltene Bühnenbild, akzentuiert eingesetzte Musik (Schostakowitsch), Spielszenen, die aus dem Halbdunkel erwuchsen und die auf ein Mindestmaß reduzierten Bewegungen der dunkel gekleideten Darsteller, schufen ein bedrückendes Szenario mit vielen offenen Fragen.

Der Effekt, der mit dieser Kargheit erzeugt wurde, war aufwühlend. Dazu kamen signethafte Figuren, die an die Wand geworfen wurden. Mit einfachen Mitteln –Tisch, Stühle und zwei Kisten – wurde das Bühnenbild verändert. „Mattis und ich haben uns den Text geteilt. Ein ganz schönes Brot. Für einen alleine wäre das gar nicht zu schaffen gewesen“, sagte Lennart Keck, der zusammen mit Mattis Lührsen eine grandiose Darstellung des Herrn K. ablieferte. Der Rollenwechsel war für die Zuschauer kaum merkbar.

Bewundernswert war die Professionalität der Schauspieler, die ein toll eingespieltes Ensemble bildeten. Ein Verdienst des Projektleiters Rolf Gorny, der das anspruchsvolle Stück mit seinen Schauspielern in vielen Freizeitstunden erarbeitet hat.

Vorausgegangen war ein Workshop, in dem vermittelt wurde, wie man auf einer Bühne agiert. Wichtig, um so einen schwierigen Stoff begreifbar zu machen. Denn dort gab es keine klassischen Charaktere; einige Darsteller trugen sogar Masken, um weniger greifbar zu wirken. Gespenstisch mutete es an, wie sechs Maskierte den Protagonisten verfolgten und „Verhaftet, verhaftet, verhaftet!“ riefen. Schließlich versteht Josef K., dass alles, was geschieht, seinem eigenen Ich entspringt und Ergebnis von Schuldgefühlen und Straffantasien ist. „Eine tolle Leistung von den jungen Leuten“, freute sich Rolf Gorny. Und ein Stück, das es lohnt, anzusehen.


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