„Mein Leben wäre ärmer gewesen“

Wiederentdeckte Geigen im LiG haben eine Geschichte: Gabriele Böckelmann hat schon auf den Instrumenten gespielt

11.06.2024
Cuxhavener Nachrichten

VON MAREN REESE-WINNE

Cuxhaven. Bilder aus einer anderen Zeit stiegen vor dem geistigen Auge auf, als Gabriele Böckelmann vergangene Woche im Lichtenberg-Gymnasium zu Gast war. Ebenso war es ihr ergangen, als sie in der Zeitung von den Geigen las (ein Cello war auch dabei), die in der Schule nach Jahrzehnten wieder ans Licht gekommen waren. Auch Gabriele Böckelmann hat in den 60-er-Jahren auf einem dieser Instrumente gespielt.

Vor Kindern und Jugendlichen der Geigen- und der Cello-AG von Melanie Thielcke-Schären und Holm Köhler (beide Musikschule Cuxhaven) und Musiklehrerin Sabine Rönnfeld erzählte sie über den enormen Verdienst der Schulleiterin Eleonore Siebrecht und der Musiklehrkräfte im damaligen Gymnasium für Mädchen, die sie von 1959 bis 1967 besucht hat. Der Weg aus Lüdingworth, wo zwei Klassen in einem Raum saßen und dreimal ein Tag ein Bus in die Stadt fuhr, in die weiterführende Schule war weit. Erst nach einer Woche  Probeunterricht und einigen schriftlichen Arbeiten war die Aufnahmeprüfung bestanden, die es damals noch gab.

„Zunächst hatten wir einen sehr alten, wohl schon pensionierten, aber überaus liebenswerten und engagierten Musiklehrer, Herrn Lorberg,  der auch das Schulorchester leitete“, berichtete sie. Um überhaupt ein Orchester einrichten zu können, gab es etliche schuleigene Instrumente, die unentgeltlich ausgeliehen werden konnten, bis ein eigenes Instrument angeschafft wurde. „Manche Schülerin hatte das Schulinstrument sogar bis zum Abitur.“

Erste Rolle in der Kindersinfonie

Es gab etliche Geigen, Bratschen und Celli sowie einen Kontrabass, wohl auch Blasinstrumente wie Oboe, Querflöte und Klarinette. Ihre eigene Oboe-Karriere endete allerdings bereits an der Klassentür der 13. Klasse, weil sie sich nicht hineintraute, um eine der Großen um die Schul-Oboe zu bitten, wie sie verriet.

Bereits in der 5. Klasse durften die Kleinsten bei Leopold Mozarts „Kindersinfonie“ (von der man damals noch annahm, sie sei von Haydn) mitwirken. „Wir spielten die Kinderinstrumente, die auch der Schule gehörten. Ich durfte die Wachtel spielen, das war ein unglaubliches Erlebnis. Wir waren mit großem Eifer dabei und bewunderten die älteren Schülerinnen, die die ‚richtigen‘ Instrumente spielen konnten.“

Später übernahm Herrn Lorbergs Nachfolgerin Sybille Schumann das Orchester, für dessen Probezeit immer die 5./6. Stunde am Freitag im Stundenplan freigehalten wurde. Gabriele Böckelmann durfte ein Cello ausleihen. Sehr schnell durfte sie im Orchester mitspielen und bekam dann auch ihr eigenes Instrument. Ihre Schilderungen von Schulopern, Konzerten und Feiern ließen Sabine Rönnfelds Augen strahlen, erst recht, als sie vom gemeinsamen Mai-Singen und einem nur für die Schule geschriebenen Ferienlied berichtete. Auf den Einmarsch zu Mozarts „Marsch der Priester“ aus der Oper „Die Zauberflöte“ bei der Abiturfeier fieberten die Schülerinnen lange vorher hin. Orchestermitglieder, die Abitur machten, bekamen einen eigenen Auftritt.

Intensive Proben fanden im Freizeitheim in Berensch statt. Musiklehrerin Frau Schumann animierte die Schülerinnen, die Opernvorstellungen in Bremerhaven und Gastspiele beim Konzertverein zu besuchen. Die Begegnung mit Spirituals und Gospels und ein bisschen Jazz galt schon als sehr modern. Instrumentalunterricht bekamen die meisten in der Musikschule des Ehepaars Jacobsen am Strichweg, später konnte Frau Schumann für die Streicher zwei Orchestermitglieder des Bremerhavener Stadttheaters gewinnen, von denen einer Raucher war und regelmäßig die Tastatur des Flügels voller Zigarrenbrösel hinterließ.

Grundlage für Gründung der Musikschule

Gabriele Böckelmanns Liebe zur Musik blieb für immer. Sie folgte dem Beispiel ihrer Eltern - beide Kirchenmusiker-, machte das Musikabitur und wurde Musiklehrerin in einer Förderschule. Ihre Schwestern, ebenfalls Schülerinnen des Mädchengymnasiums, wurden Musiklehrerin an einer Grundschule und Geigerin. „Und das liegt bestimmt an Frau Siebrecht und Frau Schumann“, sagt Gabriele Böckelmann zurückblickend. Die erste Orchesterfahrt nach Penzance, die englische Partnerstadt, fand genau nach ihrem Abitur statt. In der Zeit initiierte Frau Schumann mit einigen Mitstreiterinnen auch den Aufbau der späteren Jugendmusikschule Cuxhaven.

„Mein Cello hat mich durch mein weiteres Leben begleitet. Hätte es allerdings die Leihinstrumente nicht gegeben, wären mir viele schöne musikalische Erlebnisse und Stunden versagt geblieben, ebenso hätte ich andere musikbegeisterte Spieler nicht kennengelernt. Mein Leben wäre um vieles ärmer gewesen“, resümiert sie.

Umso erfreuter war sie, als sie sah, dass diese schönen Instrumente - über Jahrzehnte vergessen hinter vertäfelten Wänden im Musiksaal - heute wieder gespielt werden. Sabine Rönnfeld erinnert sich an den Moment, in dem sie die drei Geigen und ein Cello in der Hand hielt und ihr schwante: „Das wird teuer.“ Bis Melanie Thielcke-Schären völlig überraschend sagte: „Ich mach das.“ Unglaublich sei das gewesen. „Es hat Spaß gemacht, diese Instrumente mit ihrer tollen Klangqualität zu entdecken“, sagt Melanie Thielcke-Schären lächelnd.

Bis heute macht das LiG häufig mit seinen Musikvorführungen von sich reden. „Wer weiß, ob nicht auch Rituale von damals bald hier wiederbelebt werden“, überlegt Sabine Rönnfeld. Die damals gelebte Leidenschaft jedenfalls könne heute nur als Vorbild dienen.


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